Wochenmarkt in Norddeutschland

Wochenmarkt in Norddeutschland

Wochenmarkt Eckernförde

„Ich find das schön, dass die noch so was machen. Weil manche Städte haben das ja nicht mehr mit Wochenmarkt“, sagte eine 12-jährige bei den Aufnahmen für dieses Hörbuch. „Noch“ sagte die 12-jährige. Muss man sich Sorgen machen um die Wochenmärkte?
In diesem Frühjahr lud mich in Hamburg in meinem Nachbarstadtteil eine Marktbeschickerin ein, an einer Unterschriftenaktion teilzunehmen, für ihren Wochenmarkt. Er sollte aufgegeben werden, mangels Beteiligung, wie es hieß. Und als ich dort kürzlich wieder einkaufen und noch ein paar Fotos für dies Booklet machen wollte, gab gerade der zuständige Bezirksbürgermeister mitsamt einigen Mitarbeitern ein kleine Freiluft-Pressekonferenz und verkündete: der Markt bleibt. Gut so.
Solch erfolgreiches Engagement wird auch anderswo nötig sein. Mit diesem Hörbuch möchte ich zusätzlich Argumentationshilfe bieten. Die Anregung dazu bekam ich im vergangenen Jahr, als ich von dem beträchtlichen Umsatzrückgang hörte, den die Marktbeschicker bundesweit zu beklagen haben. Eine Radiosendung oder eben ein Hörbuch über einen Wochenmarkt schien mir eine sinnvolle Antwort darauf.
Die Wahl fiel eher zufällig auf Eckernförde. Hamburg, die Stadt mit den meisten Wochenmärkten europaweit, hätte sich natürlich auch angeboten. Doch im Vergleich dazu werden das Land drum herum und die kleinen Städte zu wenig beachtet. Mehrere Orte kamen in Betracht. Schließlich ging es um eine exemplarische Würdigung. Aber gerade in Eckernförde wurde deutlich, Wochenmärkte funktionieren nicht wie Filialen-einer Kaufhauskette.
Wenn dies Hörbuch dazu anregt, herauszufinden, was das Besondere an Ihrem Wochenmarkt ist, hat es seinen Zweck erfüllt.
Astrid Matthiae, 2008

Grußwort
Genießen für das Land
Regionale Produkte spiegeln ein Stück Landschaft und lassen schmecken, wie vielfältig und genussreich bäuerliche Kulturlandschaft sein kann.
Sein kann – wenn nicht Agrarfabriken eben diese Vielfalt in monotone Öde verwandeln. Landschaft im Ausverkauf der Discounter verramscht, degradiert und seiner Seele beraubt.
Die Regionalbewegung setzt in breiter Allianz den Gegenpol: Genussregionen auf Wochenmärkten und in den bodenständigen Wirtshäusern, beim Fleischer und dem Bäcker um die Ecke, in Bauernläden und Regionaltheken, im Winzerkeller und in den kleinen Brauereien.
Das sind die Rettungsinseln für die Vielfalt unserer Landschaften – vom Watt bis zu den Almen der Berge.
Es liegt an uns: zu genießen für das Land.
Heiner Sindel
Bundesverband der Regionalbewegung e.V.

Hört die Reportagen von Astrid Matthiae!

Nachbetrachtung aus heutiger Sicht

Von Astrid Matthiae, im Frühjahr 2021

Zu den Themen: dramatischer Umsatzrückgang, Wert der Wochenmärkte, ökologisch, sozial, ästhetisch; unverzichtbar: der Wochenmarkt als Treffpunkt, mündige Kundinnen gefragt, Ideen und Perspektiven zum Erhalt

Auslaufmodell oder Kleinod mit großer Zukunft?

Diese Frage stand und steht über vielen unserer Wochenmärkte.

Anlass für die Reportage über den Wochenmarkt von Eckernförde mit dem Titel „Vielfalt von ganz nah” war die Information über einen dramatischen Umsatzrückgang, den die Wochenmärkte in den Nuller-Jahren zu verzeichnen hatten, zwar mit Unterschieden, aber doch bundesweit, um ca. 30 % im Verlauf von gut fünf Jahren. Als ich diese Information 2007 beim Wochenmarkteinkauf von einem selbstvermarktenden Hamburger Gärtner bekam, entschied ich mich, mit meinen Mitteln als Journalistin etwas für die Wochenmärkte zu tun. Das Ziel: die Zahl der Marktfans halten und weitere hinzugewinnen.

Denn die Wochenmärkte haben es verdient. Wie sehr, hab ich allerdings noch mehr durch die Vorbereitung meiner halbstündigen Ernte-Dank-Reportage für 2007 in der Reihe Lokaltermin auf NDR Info erfahren und durch die zusätzlichen Aufnahmen für die Hörbuchfassung im Spätsommer 2008. Nicht zuletzt durch meine langjährige Serie „Obst und Gemüse des Monats” auf der NDR-Hamburg-Welle, bzw. später NDR 90,3 wusste ich, dass Wochenmärkte ein wichtiger Absatzweg für kleinere Gartenbaubetriebe (Obst, Gemüse, Blumen) sind, für direkt vermarktende Bauernhöfe und handwerklich arbeitende Betriebe. Lebensmittel, die auf kurzem Wege vom Feld in den Einkaufskorb gelangen, gibt es besonders gut und glaubwürdig nachvollziehbar auf dem Wochenmarkt. Klimaschutz durch kurze Wege, damit kann der Wochenmarkt punkten.

Aber damit verbunden ist mehr. Wer nicht große, gleichmäßige Partien für einen Supermarkt oder Discounter liefert, kann die Wochenmarktkundschaft auch dann noch mit kleineren Partien überraschen, wenn die Haupterntezeit vorüber ist. Die Saison wird verlängert, zugunsten der Vielfalt mit einheimischen Produkten. Auch für die Kundschaft Neues – evtl. alte, unbekannte Sorten – kann man mal ausprobieren, mit kleinen Mengen.

Für kleinteiligen Anbau und damit für biologische Vielfalt stehen viele MarktfahrerInnen mit ihren Produkten. Ganz klar, Klima und Natur profitieren durch den Einkauf hiesiger Produkte auf dem Wochenmarkt.

Häufig weniger bewusst sind aber weitere Aspekte, die für den Wochemarkt sprechen.

Und das ist ein ganzer Strauß von Gründen. Nach und nach zählen die Marktsfans in Eckernförde, die vor und die hinter dem Verkaufstisch, sie auf. Sie gelten unterschiedlich ausgeprägt für viele Wochenmärkte.

Ein großes Stichwort ist Begegnung. Ob FreundInnen, oder mehr oder weniger flüchtige Bekannte, sie alle kann man auf dem Wochenmarkt treffen. Manchmal geplant, und besonders freu ich mich über Zufallstreffen. Auch mit anderen KundInnen kann man ins Gespräch kommen, z.B. über Rezepte für unbekannte Gemüsesorten.

Für manche ist der Wochenmarkt auch der Ort, an dem sie wie „Knick-Else“ ihre Berufstätigkeit ausklingen lassen, für andere der Ort für einen Neubeginn. Nicht selten bietet der Wochenmarkt für ZuwanderInnen die Chance, sich eine Existenz aufzubauen und für alle die Chance zur Begegnung mit Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft und Kulturen.

Wenn auch die Bio-Kiste, andere Lieferdienste für regionale Produkte oder die Solidarische Landwirtschaft für den Erhalt der kurzen Wege sorgen, und das ist schon sehr viel wert, bzw. hat andere Vorteile, ein Ort der Begegnung ist mit diesen Vertriebswegen weniger verbunden. Noch dazu einer, der nicht selten ein ästhetisches Vergnügen bietet.

Zugegeben, auch ein guter Wochenmarkt ist keine Idylle. Es braucht immer wieder KundInnen, die genau hinsehen und nachfragen. MarktbeschickerInnen, die darin Misstrauen sehen, statt Interesse, werden weniger. Die meisten wissen mündige KundInnen zu schätzen und belohnen sie manchmal mit einem Tag der Offenen Tür oder Hoffest. Besonders schön sind solche, bei denen die Kundschaft mit anpackt.

Sehr ausgeprägt ist die Kooperation bei Marktvereinen, die es vereinzelt im deutschsprachigen Raum gibt, und zwar solche, die von der Kundschaft getragen werden. Besucht hab ich mal den Matthäusmarkt in Basel. Er existiert seit 2006 und wird getragen von einem Verein, mit Mitgliedern aus drei Generationen. Mindestens 80 % des Angebots muss aus eigenem Anbau bzw. aus eigener Herstellung stammten. Viermal im Jahr gibt es einen Saisonmarkt mit viel Spaß und Kulturprogramm. Legendär und schon Tradition ist das Kirschkernweitspucken im Sommer.

Ein Besuch der Web-Site https://www.matthaeusmarkt.ch/wochenmarkt/ lohnt sich. Die Zukunft des Matthäusmarkts dürfte gesichert sein.

Und bei uns im Norden?

Durch die Corona-Pandemie haben viele das Selber Kochen für sich (wieder) entdeckt. Auch von steigender Wertschätzung regional angebauter Lebensmittel wissen die Marktbe-schickerInnen zu berichten. Damit verbunden ist auch vielfach die Einsicht, dass der kürzere Weg, der sicherere ist, d.h. weniger krisenanfällig.

Die Wochenmärkte haben KundInnen hinzu gewonnen, „enorm“, so der Hamburger Gärtner Wilfried Thal, der die MarktbeschickerInnen und SchaustellerInnen seit einigen Jahren auch auf Bundesebene vertritt. Die Kundschaft weiß die kleinen regionalen ErzeugerInnen wieder zu schätzen. „Ich treff ja hier meine Nachbarn!“, freuen sich neue Marktfans an den Marktständen landauf landab, so Wilfried Thal. „Es wird was nachbleiben”, da ist sich der langjährige Marktfahrer sicher. Wobei auch er damit rechnet, dass beim Abebben der Pandemie, nach der Wiedereröffnung von Restaurants und sonstiger Außer-Haus-Verpflegung das Selber-Kochen nicht mehr ganz so wichtig bleibt wie während der verschiedenen Corona-Wellen. Von einer Trendumkehr will Wilfried Thal allerdings nicht sprechen. „Das Nachfolgeproblem ist geblieben”, muss er feststellen. Viele Gartenbaubetriebe haben keinen Nachfolger bzw. keine Nachfolgerin. Die Arbeitsbelastung ist zu hoch. Woanders lässt sich das nötige Geld einfacher verdienen. Dazu passt, was auf den ersten Blick nicht auffällt: Direktvermarktende Betriebe sind mit ihren Ständen immer weniger auf den Wochenmärkten vertreten. Am Beispiel der Hamburger Gemüsebaubetriebe einige Zahlen zu diesem Trend: Zählte das Statistikamt Nord im Jahr 2004 noch 256, so waren es im Jahr 2016 noch 89, 2019 noch 77 und per Ende 2020 noch 73. Es gibt keinen Grund, über diese Entwicklung nicht alarmiert zu sein, auch wenn PolitikerInnen meinen, mit dem Hinweis “Die Flächen bleiben ja” beruhigen zu können.

Die verbleibenden größeren Betriebe wirtschaften, vermeintlich aus Kostengründen, auf größeren, einheitlichen Flächen. Die für die biologische Vielfalt so wichtigen Strukturelemente, wie z.B. Hecken, verschwinden.

Mit dem Appell an die VerbraucherInnen allein lässt sich dieser Trend nicht stoppen. Weibliche Berufstätigkeit hat in den vergangenen 20 – 30 Jahren sehr stark zugenommen, erfreulicherweise, die Entlastung der Frauen im Haushalt aber leider weniger. Folglich bleibt die Küche oft kalt. Daher sind die Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung gefragt, von Kitas über Kantinen bis zu Krankenhäusern etc. – und die politisch Verantwortlichen, und zwar für die ökologisch und sozial sinnvolle Gestaltung des Angebots.

Vielleicht lassen sich der Wochenmarkt mit seinen zahlreichen Pluspunkten und die Gemeinschaftsverpflegung auch verbinden, zumindest zum Teil: Vor 10 Jahren, also 2011, hab ich mal in einer Stadt in Südholstein das Projekt „Kita trifft Wochenmarkt” organisiert. Nachgeblieben ist davon, dass Kita-Gruppen an dem Markttag während der Woche über den Wochenmarkt gehen, dort einiges erleben, alles Mögliche lernen und ein wenig einkaufen, immerhin. Wir sind jetzt 10 Jahre weiter. Die Dringlichkeit, im Sinne von Klima-, Umwelt- und Artenschutz, und zwar konkret im alltäglichen Handeln, ist mehr Menschen deutlich geworden. Vereinzelt gibt es mancherorts zwischen Kitas und auch Schulen sowie Marktleuten schon Lieferbeziehungen. Obst- und GemüsebäuerInnen bringen vor Marktbeginn ihre Produkte in die Kita bzw. Schule. Wenn dort auch das tägliche Mittagessen zubereitet wird und nicht nur aufgewärmt, um so besser. Auch Bürogemeinschaften oder Betriebe können sich so beliefern lassen, eben von direkt vermarktenden MarktbeschickerInnen. Das würde diese direkt vermarktenden Wochenmarkt-Betriebe stärken und damit den Wochenmarkt als Lernort, als Treffpunkt etc. erhalten. Denn darum geht’s. Nicht “nur” irgendwie um den Erhalt von kurzen Wegen vom Acker bis zum Teller.

Knick-Else ist da – und bereichert den Markt mit Vielfalt und alten Sorten aus ihrem Garten.
Das Charmante am Wochenmarkt: die Zufallstreffen