In dütt komodige Familjenbad

In dütt komodige Familjenbad

“In dütt komodige Familjenbad …“ ist die erweiterte Fassung des plattdeutschen NDR-Welle-Nord-Features: “Darr harrn se man kamen kunnt”, gesendet 1989 und 1990, ausgezeichnet mit dem Medienpreis 1990 des Schleswig-Holsteinischen Heimatbunds.
Alle Interviews stammen aus dem Sommer 1988.
Produktion der Hörbuchfassung Astrid Matthiae, Hamburg 1999

Zum Geleit

von Klaus Buß, Eckernfördes Bürgermeister von 1987 bis 1998, Schleswig-Holsteins Landwirtschaftminister von 1998 bis 2000, Innnenminster bis 2005.

Wer heute in Eckernförde wohnt oder diese liebens- und lebenswerte Stadt einmal besucht hat, wird kaum glauben wollen, dass Kapp-Putsch und Nationalsozialismus auch hier die vermeintlich heile kleine Welt durcheinandergebracht hatten. Vermutlich nur wenige Einwohner der Stadt werden den Gedenkstein in Borby, seine Geschichte und Bedeutung und schon gar die eingemeißelten Namen kennen. Vergessen und Verdrängen, das waren in Deutschland – und eben auch in Eckernförde – stark ausgeprägte und sehr beliebte Verhaltensmuster. An Einzelschicksalen läßt Astrid Matthiae die Ereignisse des Kapp-Putsches und die Nazizeit in Eckernförde aufleben. Menschen entstehen vor uns, die unglaublich leiden mußten und von Mitmenschen brutal gefoltert und ermordet wurden. Zeitzeugen, die die Opfer und ihre Familien gekannt und die Ereignisse zum Teil miterlebt haben, schildern mit einfachen, bescheidenen, völlig unpathetischen Worten ihre Erinnerungen. Sie bedienen sich dabei alle ihrer – der plattdeutschen – Sprache, die wie keine andere geeignet ist, schwierigste Sachverhalte und Gefühle ohne Schwulst und Wortballast auf den Punkt zu bringen und Nachdenken auszulösen. Die „Helden“ des Hörbuchs, die eben zugleich die Opfer sind, engagierten sich ohne große Erklärungen, ohne öffentliche Anerkennung und ohne dass Rundfunk oder Fernsehen dabei waren, für ihre Mitmenschen und handelten nach ihrer Überzeugung. Rücksichten auf sich selbst nahmen sie nicht. Über Vor- oder Nachteile ihres Tuns dachten sie nicht nach. Es ging ihnen ausschließlich um die Sache und damit um das Wohl anderer. Alle entstammten sie der Arbeiterbewegung. Ich bewundere Max Allewelt, Franz Langel, Richard Vosgerau, Hermann lvers, Heinrich Otto, Johann Buhs und Hinrich Junge. Einen Teil der Zeitzeugen kannte und kenne ich. Mit Emil Schnoor arbeitete ich lange im Aufsichtsrat des Gemeinnützigen Wohnungsunternehmens Eckernförde zusammen, Karl Büsing und Else Bevendorff waren – wie ich – viele Jahre Mitglieder der Eckernförder Ratsversammlung. Und Otto Graf, der so herrliche Geschichten aus seiner Zeit als Bootsführer von großen Privatyachten im Mittelmeer erzählen konnte und der noch kurz vor seinem Tod in der von ihm so geliebten Borbyer Gilde König wurde. Alles Menschen, wie auch die übrigen Zeitzeugen, die ihr Leben nach dem Nationalsozialismus gemeistert, aber diese finstere Zeit nicht vergessen haben. Vergangenheit vergeht nicht. Fritz Stern, der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 1999, sagte in seiner Dankesrede in der Frankfurter Paulskirche: „Mit Recht gibt es Mahnungen gegen Vergessen, diese Stimmen aber beschwören keine Schuld für die heutige Generation. Gefordert wird Verantwortung, verstärkt durch das Wissen um Fehler und Verbrechen in der Vergangenheit.” Astrid Matthiae hat mit ihrem Hörbuch einen wichtigen Beitrag gegen das Vergessen geleistet.

Klaus Buß
Minister für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus des Landes Schleswig-Holstein
Bürgermeister der Stadt Eckernförde von 1987 bis 1998

 

 Musik: Lydie Auvray (aus den CDs Premiere&Paradiso und D’accord). Mit freundlicher Genehmigung von Westpark Music & Publishing, Köln

Der Gedenkstein auf dem Petersberg von Borby

Bi’n Snack an’n Haven hett dat anfungen. lk weer op Besöök in Eckernför, dat eerste Mal in mien Leeven. Na’n Haven, dat is jümmers mien eerste Weg, för mi as utleerte Fischereibiologin. Hen na de Scheep un de Fischerlüüd fragen, woveel Fisch se noch fangen dot, wat de Fisch ok gesund is un woveel Kollegen dat noch sünd. Un dor is mi een ole Mann inne Möt kamen. He hörte to de dänische Minnerheit in Eckernför. Wi hebbt ok vun de Nazitied snackt un toletzt hett he mi na de anner Sied vun de För schickt, ik schull mi dor mal dat Mahnmal bekieken. Dor baben bün ik ut ‘t Wunnern ni meer rutkamen. Dor weern Naams in den Steen haut.
Naams vun Minschen, de hebbt ehr Leeven för de Demokratie insett, Minschen ut Eckernför un umto. Een Fischer weer ok dorbi, he hett Flüchtlinge in’t Exil schippert. Ok anner Fischerlüüd hebbt dat don. Heinrich Otto hebbt de Nazis dorför umbröcht, anner in’t KZ sparrt.
Un ik harr blots wat vun de Fischerlüüd wußt, de för de Nazis op den KFK, den Kriegsfischkutter, schippert sünd. Dorvun hebbt se uns wat in’t Studium vertellt: Man Widerständler mang de Fischerlüüd, Widerständler in unse Branche, dorvun hebbt wi nix hört. Landarbeiters sünd ok dorbi west. Dat heet: Widerstand geev dat nich blots in de groten Stedte as Hamborg un Kiel, nee ok op dat platte Land, as ‘n dat minnachtig nömen deit. Dorvun wull ik meer weeten.
Man neeschierig to wesen, sik to wunnern, is ja noch keen Garantie, dat dor wat bi rutsuern deit. Dorför mut ik Dankeschön seggen. Dankeschön to de Lüüd, de mi ut ehr Leeven vertellt hebbt. Se hebbt mi een anner Bild vun Sleswig-Holsteen geven, 1988. Mennicheen leevt nu nich mehr. Man wi hebbt se ehr Wör un se ehr Stimmen. Dor weer ok noch Monika Peters in Kiel. De het mi upnomen för de dree Weeken, de ik för dütt Feature brukt hebb. Kennt het se mi nich, se weer blots een Fründin vun een Frünn. Man se wull ok, dat düsse Geschicht vun dat Mahnmal in Eckernför vertellt ward, to de Tied in’t Radio, bi de Welle Nord vun’n NDR. Dank will ik ok seggen to de Lüüd, de dat Book schreeven hebbt „Vergessen und verdrängt”, un de sik insett hebbt för dat Mahnmal. Hören köönt Ji Else Bevendorff un Rolf Schulte. Se un annere Autoren weern dat, de anfungen hebbt, dütt Kapitel Heimatgeschichte ruttokriegen un optoschrieven. Ik müß nich vun vörn anfangen. Mit Rolf Schulte müß ik to de Tied Hochdüütsch snacken. Woans dat nu is, heff ik em noch nich fragt. Man he hett mi de Biller för dütt lütte Book geeven. In de 80er Johren hett he se funn un hett se akkraat bi sik sammelt. Un denn is dor noch wat. Darvun hett Gerda lvers mit mi snakt. Na dat Interview sää se to mi: „Dat is good, dat Se Plattdüütsch mit mi snakt hebbt. Op Hochdüütsch harr ik Se dat gaarnich vertellen kunnt.” Un Ji ward dat so ok beter verstahn.
Hamborg, in’n Harvst 1999
Astrid Matthiae

Nachbetrachtung aus heutiger Sicht

von Astrid Matthiae, Frühjahr 2021
Themen: Fluchthilfe durch Eckernförder Fischer – Kriminalisierung von Menschlichkeit – 20. Juli, Gedenktag für wen? – Leben und Kämpfe der LandarbeiterInnen und ´Idiotismus des Landlebens´ – Altonaer Blutsonntag/Otto Eggerstedt – warum auf Plattdeutsch?

Beim nochmaligen Anhören meines plattdeutschen Features über den Widerstand der `kleinen Leute´ im Raum Eckernförde ging mir dazu Verschiedenes durch den Kopf:

Von einem Mecklenburger Fischer, der eine Jüdin und eine Barlach-Skulptur aus Nazi-Deutschland nach Schweden bringt, handelt der Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ von Alfred Andersch. Das Buch – und seine Verfilmung – ist vielen bekannt. Es ist Fiktion.
Bis heute weniger bekannt ist die reale Hilfe für Flüchtlinge in Eckernförde. Über die Kleinstadt an Schleswig-Holsteins Ostsee-Küste konnten zahlreiche Verfolgte dem NS-Regime entkommen, dank der Hilfe mehrerer Fischer und ihrer UnterstützerInnen über mehrere Jahre. Die Nazis setzen dieser umfangreichen Hilfsaktion mit einer großen Verhaftungswelle 1936 ein Ende.

Foto: Archiv Rolf Schulte, Ahrensburg
Der Strand zwischen Eckernförde und Olenhoff, Altenhof: Heute Umgebung für einen entspannten Waldspaziergang mit Meerblick, in der NS-Zeit auch letztes Versteck vor der Flucht übers Meer. Die Bäume direkt am Wasser sorgten für unbeobachteten Einstieg
Hinter dem Horizont das rettende Dänemark

Aber es dürfte nicht Schluss gewesen sein 1936. Das lassen Berichte von Nachkommen von Geretteten vermuten, denen über Eckernförde die Flucht gelang, und zwar noch nach 1936. Der Umfang dieser Hilfe wird wahrscheinlich unterschätzt. Wer dort weiter sein Leben riskierte, kann man vermuten. Offenbar schwieg er bis zu seinem Tod.
Eckernförde erinnert weiter an seine WiderständlerInnen, an verschiedenen Orten, auf verschiedene Weise, nicht zuletzt beim alljährlichen Auftakt zur Kundgebung und Demonstration am 1. Mai. Sie beginnt am Gedenkstein auf dem Petersberg. Was aber bisher leider fehlt, ist ein deutschlandweites Gedenken an die WiderständlerInnen. Der 20. Juli als Gedenktag an die Hitler-Attentäter taugt dafür nicht. Sie kamen in ihrer Mehrheit erst sehr spät zur Einsicht, dass Hitler ein Verbrecher war. Der 20. Juli sowie andere deutschlandweite Gedenktage ignorieren die WiderständlerInnen der frühen NS-Zeit. Warum eigentlich? Ich empfinde das als ungerecht, mindestens. Auch wenn es sehr spät wäre, ließe sich das nicht noch ändern? Wenn nicht gleich bundesweit, dann zunächst auf Länderebene?

Wichtiger Bestandteil der NS-Diktatur und -ideologie war die Kriminalisierung von Menschlichkeit. Die Faschisten prägten den Begriff “Humanitätsduselei”, (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Menschlichkeit) der auch nach der NS-Zeit noch benutzt wurde. Kriminalisierung von Menschlichkeit, Kriminalisierung von Hilfen für Flüchtlinge, das dachte ich, sei typisch für Diktaturen wie Nazi-Deutschland.
Mit dem Sommer 2004 wurde das anders: Damals wurden der Lübecker Kapitän und heutige Flüchtlingsbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Stefan Schmidt, vom Hilfsschiff Cap Anamur, sowie Elias Bierdel und Vladimir Daschkewitsch auf Sizilien wegen “Schlepperei” vorübergehend inhaftiert. Sie hatten afrikanische Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Dafür forderte die Staatsanwaltschaft jeweils vier Jahre Haft und eine hohe Geldstrafe. Das langjährige kräftebindende und -zehrende Gerichtsverfahren endete im Jahr 2009 mit einem Freispruch. Die Kriminalisierung von SeenotretterInnen war damit jedoch nicht beendet. An Proteste von offizieller deutscher Seite gegen diese Kriminalisierung kann ich mich nicht erinnern.
Aber was wäre gewesen, wenn der Travemünder Fischer Paul Stooß mit dem Kutter TRA 10 seines Schwiegervaters Johannes Johannsen den jungen Herbert Frahm/Willy Brandt in der Nacht zum 3. April `33 nicht ins rettende Exil geschippert hätte? Hätte diese Republik ohne die beherzte Menschlichkeit der Fischerfamilie dann überhaupt einen Außenminister und Kanzler Willy Brandt gehabt?

Sehr beeindruckt haben mich auch die Berichte über das Leben der LandarbeiterInnen und ihrer Kinder. Trotz der langen Arbeitstage haben sie sich gewerkschaftlich organisiert und versucht, ihre Lage zu verbessern, mal mit und mal ohne Erfolg.
Wenn wir im Vergleich dazu die Bedingungen sehen, unter denen heute in Deutschland gewerkschaftliche Arbeit – meist – stattfindet, dann ist diese Geschichte Ansporn und Verpflichtung zugleich. Sie erinnert auch daran, dass Gewerkschaften nicht nur Bestandteil der städtischen Arbeitswelt sind, sondern dass Landleben und Gewerkschaften ebenfalls zusammen gehören (können/sollten). Der von den Nazis ermordete Johann Buhs weer „Landarbeiter mit Liev un Seel“, wie sich Elise Schramm an ihren Vater erinnert. Er liebte das Leben auf dem Land und die Arbeit in der Landwirtschaft. Und deswegen setzte er sich ein für würdige und auskömmliche Arbeitsbedingungen, und zwar eben dort. Seine Haltung und die seiner Mitstreiter will so gar nicht passen zu dem marxschen Spruch vom „Idiotismus des Landlebens” (s. Manifest der kommunistischen Partei). Der ignoriert, dass man die Güter des klassenbewussten Industrieproletariats nicht essen kann. Und er ignoriert, dass die Menschen, die für die Basis unserer Existenz sorgen, Wertschätzung und Anerkennung verdienen, finanziell und politisch.
Johann Buhs tat seine Arbeit in einer noch relativ intakten Umwelt. Und auch die wusste er zu schätzen, wie sich seine Tochter erinnert. „Landarbeiter mit Liev un Seel“ eben. Doch die Weiterentwicklung dieser Haltung hat das mörderische Naziregime mit seiner Blut-und- Boden-Ideologie abgeschnitten. In der Nach-NS-Zeit reichte es nur für eine oberflächliche Ablehnung dieser Ideologie. Aber der Graben zwischen der Linken und dem ländlichen Raum ist geblieben. Es ist scheinbar nichts dabei, als GewerkschafterIn beim Griff ins Supermarkt-Regal die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen des gewählten Produktes und die damit verbundenen Menschen zu ignorieren. Das haben Johann Buhs und Hinrich Junge nicht verdient.
Übrigens: Die Waffen, die in gutshöflicher Schwansener Idylle zur Beseitigung der Republik durch den Kapp-Putsch gelagert waren, haben die Landarbeiter entdeckt. Und sie haben dazu nicht geschwiegen. Hinweisen möchte ich auf das Buch “Vergessen und Verdrängt”, das im Museum Eckernförde noch erhältlich ist ( https://www.museum-eckernfoerde.de/ ).

Beerdigung der Opfer des Überfalls auf das Gewerkschaftshaus. Foto: Archiv Rolf Schulte, Ahrensburg

Erstochen wurden Johann Buhs und Hinrich Junge beim Überfall der Nazis auf das Eckernförder Gewerkschaftshaus am 10. Juli 1932. „Een Sünndag later keem denn de Bloodsünndag in Altona“, heißt es in meinem Feature. Diese Verbindung wird in der Aufarbeitung des Altonaer Blutsonntags kaum gezogen. Die Ereignisse, die das Ende der Weimarer Republik einläuteten, fanden eine Woche später statt, am 17. 7. 1932. Drei Tage danach wurde die preußische Regierung abgesetzt, Reichskanzler Papen regierte ab da unter Berufung auf Artikel 48 der Weimarer Verfassung per Notverordnung („Papenstreich“) und ebnete so den Nazis den Weg für ihr Terrorregime.
Polizeipräsident von Altona (ab 1929) war bis zum „Papenstreich“ Otto Eggerstedt, Kieler Sozialdemokrat und von 1921 bis 1933 schleswig-holsteinischer Abgeordneter des Reichstages. Er hatte den Aufmarsch von rund 7.000 Nazis durch das linke, damals schleswig-holsteinische Altona genehmigt und zog diese Genehmigung – trotz Warnungen – auch nicht zurück, als der mörderische Überfall der Nazis auf das Eckernförder Gewerkschaftshaus bekannt wurde. Dabei dürfte ihm klar gewesen sein, dass die Nazis systematisch darauf hinarbeiteten, „die öffentliche Sicherheit und Ordnung (als) erheblich gestört oder gefährdet“ darstellen zu können, die Voraussetzung für das Inkrafttreten von Artikel 48. Der Überfall im ländlichen Eckernförde war „lediglich“ der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Anschlägen im Land.
Damit nicht genug war Otto Eggerstedt am fraglichen 17. Juli nicht etwa als Polizeipräsident im Dienst in Altona, sondern auf Wahlkampftour für sein Kieler Reichstagsmandat. Um einen kompetenten Stellvertreter für diesen kritischen Tag hatte er sich auch nicht gekümmert.
Das Resultat: 18 Tote, davon sind 16 zweifelsfrei durch Polizeikugeln umgekommen, wie sich 60 Jahre später herausstellen sollte. Die Kaliber der Kugeln, durch die 2 SA-Leute umkamen, weichen je nach Obduktionsbericht von einander ab. Wegen Beweismanipulation wurde der angebliche Schütze Walter Möller wie die anderen drei NS-Justiz-Opfer rehabilitiert – Jahrzehnte später.
Und Otto Eggerstedt? Ihn haben die Nazis im KZ Esterwegen umgebracht, am 12. Oktober 1933. Wie es hieß, war das für eine „Rechnung“ aus den 20er Jahren, als Otto Eggerstedt für die Strafverfolgung eines Kieler Nazis gesorgt haben soll. Dass er auf dem rechten Auge blind war, ist also eher unwahrscheinlich. Was also mag ihn zur Vernachlässigung seiner Dienstpflichten bewogen haben, um es mal milde auszurücken? Hatte er innerlich die Republik bereits aufgegeben? Wir wissen es nicht. Aber was wir wissen, ist eins: Wenn wir Helden brauchen, ist es zu spät.

Und warum nun das Ganze auf Plattdeutsch?

„Ob Hochdüütsch harr ik Se dat nich vertellen kunnt“, sagte mir Gerda Ivers nach dem Interview. Plattdeutsch also nicht nur die Sprache für Harmlosigkeiten, sondern auch die Sprache von WiderständlerInnen. `Plattdeutsch mal politisch´, ´Plattdeutsch mal nicht plüschig´, dafür hatte ich mich spontan entschieden, als mir vor dem Gedenkstein auf dem Petersberg die Idee für dieses Feature kam. Der eher unbewusste Entschluss war genau richtig, wir mir Gerda Ivers direkt bestätigte. Ein Motiv war auch, Menschen fürs Plattdeutsche zu gewinnen, zurück zu gewinnen, die diese ignoriert, bzw. bei Seite geschoben haben, weil sie mit dem Image nicht klar kamen. Mir war es ähnlich gegangen. Als Jugendliche hatte ich an meiner Schule eine Plattdeutsch-AG ins Leben gerufen. Aber die Begeisterung schwand, als wir von der Leiterin nichts als banale Texte vorgesetzt bekamen. Ich ging. Putzig, niedlich, betulich, ohne Biss, heimattümelnd, das passte mir nicht. Alternativen waren für mich nicht greifbar. Mit meinem Feature wollte ich dann der damals noch recht kurzen Liste der Alternative eine hinzu fügen. Gerade in jüngerer Zeit ist sie länger geworden. Auch MusikerInnen haben die Sprache ihrer norddeutschen Heimat neu für sich entdeckt. Vielleicht bekommen sie ja auch durch dies Feature eine Idee.
Und wer noch ein paar Argumente braucht:
Hamburgs erste Professorin und Deutschlands erste Germanistikprofessorin war Agathe Lasch (1879 – 1942). Sie begründete in Hamburg das Plattdeutsche Wörterbuch mit Gebrauchsbeispielen im jeweils historischen Kontext. Damit war sie Deutschlands erste germanistische Soziolinguistin. Weil sie Jüdin war, wurde sie 1942 von den Nazis in Riga umgebracht.
Plattdeutsch, damals Mittelniederdeutsch war über Jahrhunderte die Sprache der Hanse, von London bis Nowgorod, für Verträge, Rechnungsbücher, auch für die Protokolle der Hansetage, die Rezesse.
Fast vergessen sind die „latinschen Buern” in der Region um Glückstadt. Im Winter holten sie ihre lateinischen Klassiker aus dem Bücherschrank und lasen sie im Original.
Auf dem Hamburger Großmarkt hörte ich einen Südfrüchteimporteur nahtlos vom Spanischen ins Plattdeutsche wechseln. Was er gerade am Telefon mit seinem Geschäftspartner in Valencia besprochen hatte, teilte er dem Team an seinem Großmarktstand auf Plattdeutsch mit. Rückfragen auf Platt gab er auf Spanisch weiter.
Also nur Mut: Snack mal wedder Platt!

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